Bronzen

Skulpturen in Bronze

Captain FletcherO Captain! My Captain! our fearful trip is done. Im Gedicht des amerikanischen Poeten Walt Whitman kehrt der siegreiche Captain zurück in den Hafen – tot, gestorben im Kampf. Dieser Kapitän hier ist in Bronze gegossen – als Typus fast unsterblich und offensichtlich älter. Er schaut den Betrachter ruhig, fast friedlich an. Keine Schlacht, kein Tod. Das Schicksal des historischen Captain Fletcher – eigentlich Fletcher Christian – verlief anders. Er wurde nicht alt und starb auch nicht friedlich. Mit knapp 29 Jahren wurde er auf Pitcairn am 20. September 1793 ermordet. Das bekanntere Datum bzw. das weitaus bekanntere Ereignis war aber der 28. April 1789. An diesem Tag führt Master’s Mate – dies sein richtiger Rang – Fletcher Christian auf der HMS Bounty die Meuterei gegen Lieutenant William Bligh an. Das Ende seiner Reise war schließlich die Insel Pitcairn. Dort endete sein „fearful Trip“ vier Jahre später. Obwohl oder gerade weil ihn die Engländer nicht gefangen nehmen konnten, wurde er zur Legende. Errol Flynn, Glark Gable, Marlon Brando und Mel Gibson, die alle Fletcher Christian in Filmen über die Meuterei auf der Bounty verkörpert haben, bestätigen dies auf eindrucksvolle Weise.

Was zeigt dann aber die Bronzeskulptur? Das, was hätte sein können. Das, was sich Christian vielleicht für sein Leben vorgestellt oder gewünscht hätte. Das, was nicht geschah. Es ist ein Charakterzug der Kunst, das Mögliche, das nicht geschah, in etwas zu verwandeln, was ist – und bleibt. Captain Fletcher Christian, der nie Captain war, strahlt jetzt eine Ruhe und einen Frieden aus, der seinem tatsächlichen Leben fehlte. Und was ist mit dem Affen? Der kleine Totenkopfaffe hat hier vielleicht die Funktion eines Memento mori – „Sei dir der Sterblichkeit bewusst“. Die Kunst kann unendliche Möglichkeiten oder Lebensläufe darstellen, den Tod besiegen kann sie am Ende aber auch nicht.
 

Baumeister SinanSinan oder Baumeister Sinan, der mit vollem Namen wohl wahrscheinlich Yusuf Sinan bin Abdullah hieß, führt uns in eine andere Zeit, in ein anderes Leben. Ein Leben, in dessen Verlauf das Schicksal mit einem Paukenschlag begann und das nach wohl 98 Jahren am 17. Juli 1588 in Istanbul endete. Zu diesem Zeitpunkt war Sinan „Ser-Mimâr-ı Mimârân-ı Hassâ“ das Oberhaupt der Hofbaumeister. Heute gilt er als einer der größten Architekten aller Zeiten. Geboren um 1490 als Sohn einer christlichen Familie in der Nähe von Kayseri wurde er im Zuge der sogenannten Knabenlese mit etwas 18 Jahren nach Istanbul gebracht.Die Knabenlese war ein System der im Osmanischen Reich seit dem späten 14. bis ins frühe 18. Jahrhundert praktizierten Aushebung bzw. Zwangsrekrutierung und -bekehrung, bei der christliche, vorwiegend männliche Jugendliche aus ihren Familien verschleppt und islamisiert wurden, um sie anschließend zum Teil an hervorgehobener Stelle im Militär- und Verwaltungsdienst des Reiches einzusetzen. Sinan machte zunächst beim Militär Karriere und nahm an den Feldzügen unter den Sultanen Selim I. und Süleyman I. teil, die ihn bis nach Wien führten.

In seiner späteren Karriere als Hofbaumeister errichtete er weit über 400 Bauwerke im Osmanischen Reich, darunter die Şehzade-Moschee in Istanbul,die Süleymaniye-Moschee in Istanbul und die Selimiye-Moschee in Edirne.

Sinan in Bronze macht jedenfalls einen zufriedenen Eindruck. Er kann auf ein erfolgreiches Leben zurückblicken und – auch wenn er das noch nicht wissen kann – hat noch viele Jahre vor sich. Der Unterschied zu Fletcher Christian könnte jedenfalls größer kaum sein.
 

Tinnitus 1Tinnitus wird von Wikipedia wie folgt beschrieben: „Tinnitus ist eine Hörerfahrung, die ohne einen auf das Ohr treffenden Schall ein- oder beidseitig erlebt wird. Sie beruht auf einer Störung der Hörfunktion. Der Höreindruck des Tinnitus hat in der Regel auch nicht irgendeinen Bezug zum Schall in der Umgebung des Patienten. Die Art der scheinbaren Geräusche ist sehr vielfältig: Die auditiven Eindrücke werden als Brummton, Pfeifton, Zischen, Rauschen, Knacken oder Klopfen beschrieben. Das Geräusch kann in seiner Intensität gleichbleibend sein, aber auch einen schwankenden oder sogar rhythmisch-pulsierenden Charakter haben. Es hat jedoch nicht immer eine Ähnlichkeit mit einem Geräusch aus der realen akustischen Umwelt. Auch ist Tinnitus deutlich von auditiven Halluzinationen, sogenannten Akoasmen, abzugrenzen.“
 

Mit den hier dargestellten Bronzen hat diese sachliche Definition wenig zu tun. Anders sieht das aus, wenn Wikipedia schreibt: „Grad IV: Völlige Dekompensation: Betroffene sind beruflich wie privat schwer beeinträchtigt; Erwerbsunfähigkeit, Suizidgedanken oder -versuche.“

 
Tinnitus 2Dekompensation kann man harmlos als Unausgeglichenheit aber auch in diesem Fall als „Entgleisung“ übersetzen. Die Belastung durch Tinnitus wird übermäßig. Psyche und Körper können nicht mehr ausgleichen, geraten aus dem Gleis. Die Hand greift zum Ohr, bewirkt aber NICHTS. Stille verschwindet aus dem Leben. Musik wird überlagert von anderen Geräuschen, die nicht abzustellen sind.
 
Jean-Jacques Rousseau erinnert sich in seinen «Confessions» an jenen Tag, als er heimgesucht wurde von einem Unbekannten: „Ich weiss ihn nicht besser als mit einem Sturme zu vergleichen, der sich in meinem Blute erhob und mir augenblicks bis in alle Glieder fuhr. Damit verband sich ein mächtiges Ohrensausen, und dieses Sausen war dreifach oder vielmehr vierfach, nämlich zunächst ein dumpfes, schweres Brausen, dann ein helleres Murmeln wie von fliessendem Wasser, endlich ein gellendes Pfeifen, und dazu trat dann noch das Klopfen, dessen einzelne Schläge ich leicht zählen konnte.“ Das quälende Ohrensausen lies ihn nie wieder los.